Etwas zur Rolle des Uke

Was ist Ukemi, wenn es nicht die Kunst ist, die Folgen des eigenen Tuns zu überleben?

Es gibt sicherlich viele Gründen, die Rolle des Uke nicht mit der eines realen Angreifers zu verwechseln. Mir fallen spontan zwei ein: Am wichtigsten finde ich das Vertrauen, das Tori und Uke einander entgegenbringen müssen – Vertrauen, dass keiner den anderen ernsthaft verletzen will. Von einer ganz anderen Seite gesehen, sind auch die Fähigkeiten eines geschulten Uke für einen realen Kampf nicht selbstverständlich: Ein Uke überdehnt sich nicht schon im Ansatz etwa eines Kote Gaeshi die Handgelenke und er überlebt auch den harten Fall, der wahrscheinlich folgen müsste, wenn Tori sich ernsthaft verteidigt. Bei einem ernsthaften Angriff auf einen Aikidoka (oder wohl auch einen anderen Kampfkünstler) wird sich das Ziel des Angreifers mit Fortschreiten von Toris Technik ganz einfach definieren: zu überleben.

Wir können Ukemi also nicht als die Situation eines Angreifers im vielbeschworenen Ernstfall diskutieren. Denn wir als Aikidoka greifen doch niemand unter Einsatz von Aikido ernsthaft an, oder? Ukemi ist also etwas anderes. Wie aber definieren sich die Anforderungen an einen Uke, was ist gutes Ukemi? Natürlich sichert gutes Ukemi auch das Überleben von Uke, das eigentliche Ziel aber ist, Tori die perfekte Ausführung der jeweiligen Technik zu erlauben, ja abzuverlangen. Ich glaube dabei nicht, dass dazu eine Verständigung von Uke und Tori notwendig ist, vielmehr glaube ich an die Wichtigkeit intensiver Aufmerksamkeit. Ich sehe im Ukemi alles was Uke tut, vom Angriff bis zum Abschluss der vom Tori angewandten Technik durch einen Wurf oder Haltegriff.

* Soll ein Angriff sinnvoll sein, muss er auch Schwung und Kraft haben, damit Tori reagieren und eine Technik anschließen kann.
* Während der Ausführung einer Technik muss ich als Uke auf Tori reagieren und etwaigen Atemis ausweichen. Gleichzeitig muss ich aber versuchen, aus der Situation das beste zu machen und/oder sogar meinen Angriff so weiterzuführen, dass ich möglichst doch noch zu einem Erfolg komme.
* Soll ein Fall als Abschluss einer Wurftechnik Sinn haben, darf er nicht unprovoziert kommen, ich darf als Uke das Ende eines Wurfes nicht selbst herbeiführen.
* Ebensowenig darf ich als Uke bei einem Haltegriff abschlagen, ohne aus dem Schmerz zu fühlen, dass der Griff richtig ausgeführt ist.

Gutes Ukemi unter gleich Fortgeschrittenen (egal wie fortgeschritten beide eigentlich sind) erscheint mir wie eine Diskussion von Fehlern beim Torimi (wenn es das Wort gibt), also bei der Auführung der Technik durch den Tori.

Ukemi mit fortgeschritteneren Tori (Sempai) ist Vertrauenssache. Zum einen das Vertrauen darauf, dass Tori das Ai, die Harmonie, nicht aus den Augen verliert und so reagiert, dass ich als Kohai seiner Bewegung folgen kann. Zum anderen ist es auch eine Sache von Selbst-Vertrauen darauf, dass ich der Reaktion des Tori folgen kann. Eine Apriori-Lösung vieler Probleme ist das Tempo – wenn ein Tori einen forschen Eindruck macht, werde ich zunächst extrem langsam und mit um so größerer Konzentration angreifen.

Ukemi mit weniger fortgeschrittenen Tori (Kohai) fordert von mir als Sempai entsprechend einen Angriff, der Rücksicht auf die Koordinations- und Reaktionsfähigkeit des Tori nimmt. Gleichzeitig darf dieser Angriff aber keinen Aspekt auslassen: Tori muss klar sein, dass eine Technik nur erfolgreich beendet werden kann, wenn er sich richtig bewegt und unterwegs nicht in seiner Aufmerksamkeit nachlässt. Eine Technik deshalb in kleinere Schritte zu zerlegen ist Sache des Lehrers, dessen Aufmerksamkeit hier gefordert ist. Für kaum sinnvoll halte ich es, Fehler während der Zeit für das Training einer Bewegung zwischen Tori und Uke auf der Matte zu diskutieren. Das Hilfsmittel der Wahl ist hier eher eine Anpassung des Tempos. Ein langsamer aber gerichteter Angriff lässt Tori Zeit ’sich zu sortieren‘ und hilft oft mehr als eine langatmige Erklärung.

Ich habe oben gesagt, dass ich als Uke das Ende eines Wurfes nicht selbst herbeiführen darf. Andererseits liegt es aber durchaus in meiner Verantwortung als Uke, aus meinem Fall entstehende Gefahren (wenn jemand oder etwas im Wege ist) selbst zu vermeiden. Im Klartext: wenn Tori im Begriff ist, mich auf am Mattenrand sitzende Personen oder an die Wand zu werfen, ist es auch meine Sache, das zu vermeiden! Also muss ich mich von Tori weiterbewegen lassen (in diesem Fall eher ‚Toris Bewegung weiterführen‘) bis eine gefahrlose Fortführung der Technik möglich ist. Gegebenenfalls muss ich auch mal einen für Tori ganz unerwartet kurzen ‚harten‘ Fall wählen um nicht in die ‚Randfiguren‘ zu rollen.

Vertraue deinem Partner – und hilf ihm wenn du kannst!
Autor: Jochen Schepers

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